Maria Montessori

Montessori Pädagogik


von Pia Kähler

4. Die Übungen des täglichen Lebens

Neben der Arbeit mit dem Material, ist eine weitere Art der Übung erwähnenswert: Die Übungen des täglichen Lebens.
Der Mensch möchte, egal wo er ist und was er tut, wohnen. Dies ist ein elementares Grundbedürfnis, was dazu führet, dass man versucht sich häuslich einzurichten. Dasselbe gilt auch schon für Kinder. Nur wenn sich das Kind wohlfühlt und eine geborgene Atmosphäre wahrnimmt, kann es mit ganzem Herzen bei der Sache sein.
Die Übungen des täglichen Lebens tragen entscheidend zu dieser Atmosphäre bei. Sie stellen Aufgaben der Hausarbeit dar. Die Kinder haben das Bedürfnis bei der Hausarbeit mitzuhelfen. Sobald sie motorisch in der Lage sind, versuchen sie die Erwachsenen nachzuahmen.
Durch die immer weiter fortschreitende Technisierung, lernt das Kind jedoch die einzelnen Vorgänge nur ungenügend kennen. Es erhält keine Information mehr darüber woher Dinge kommen, die Vorgänge sind unüberschaubar geworden. Das Bedürfnis der Nachahmung wird demnach nicht genügend befriedigt.
Hier sollen die Übungen des täglichen Lebens Abhilfe schaffen. Sie sollen vertraute Übungen von zu Hause aufgreifen und sie im Detail deutlich machen.
Die häuslichen Übungen unterstützen den Wohncharakter des Kinderhauses, so dass sie einen großen Teil der angenehmen Atmosphäre ausmachen.
Ich spreche bewusst von der Atmosphäre im Kinderhaus, da die sensible Periode für diese Art von Übungen bei 3 bis 4 Jahren liegt und somit nur noch selten in der Grundschule angewendet werden.
Man unterscheidet zwischen drei Arten von Ãœbungen:

1. Pflege der eigenen Person (z.B. Händewaschen)

2. Verkehr mit anderen (Grüßen, Tisch decken, Höflichkeit etc.)

3. Pflege der Umgebung ( Blumenpflege, Abwaschen etc.)[7]

Bei jeder einzelnen Übung wird die Tätigkeit durch den Erzieher genauestens vorgeführt. Man spricht dabei von der Analyse der Bewegungsabläufe.
Das genaue Studium der Bewegungen und das wiederholte Üben soll zu Leichtigkeit und Anmut bei der Ausübung führen. Montessori geht davon aus, dass durch die Koordination der Bewegung und Sinne der Persönlichkeitsaufbau gefördert wird.
Die Materialien, die zur Ausführung einer Übung erforderlich sind, müssen an einem festen Platz bereits zusammengestellt sein. Das heißt, dass es z.B. einen kleinen Korb gibt, der alle nötigen Instrumente enthält, um das Blumenwasser auszutauschen. Die Kinder müssen so nicht lange suchen um eine Übung auszuführen, um dann eventuell mitten in der Tätigkeit festzustellen, dass ihnen doch noch etwas fehlt. Durch so etwas würde die Aufmerksamkeitsfokussierung, bzw. Polarisation der Aufmerksamkeit gestört werden und die Übung würde ihren eigentlichen Sinn verfehlen.
Um eben dies zu verhindern ist jedoch eine ausgesprochene Ordnung von Nöten, die jedem Material einen festen Platz zuweist.
Es geht bei den Übungen des täglichen Lebens nicht darum nur ein Detail auszuführen, sondern um den Zyklus einer Tätigkeit zu vollenden. So sollte ein Kind z.B. nicht nur seinen Teller abwaschen, sondern ebenso abtrocknen, ihn zurück an seinen Platz stellen und schließlich das Handtuch zum Trocknen aufhängen.
Die zusammengestellten Utensilien fordern das Kind dazu auf, seine Tätigkeit fertig zu stellen.
Um einen wahren Effekt zu erlangen , ist es wichtig, dass das Kind die Tätigkeit auch als sinnvoll anerkennt. Hierbei muss darauf geachtet werden, dass der Anspruch der Übung dem Alter angepasst wird.
Zu Hause wird den Kindern oft verboten haushaltliche Arbeiten zu verrichten, weil man der Meinung ist, sie seien dazu noch nicht in der Lage. In dem man den Kindern nun aber die Gelegenheit gibt, diese Arbeiten doch selbstständig zu auszuführen, geht man ihrem Streben nach Unabhängigkeit nach.
Neben den bereits erwähnten Zielen, versucht man mittels dieser Übung die Strukturierung der Persönlichkeit zu fördern. Zusätzlich sollen die Kinder auch in sozialer Hinsicht erzogen werden. Dies äußert sich vor allem in der 2. Art der Übungen, bei der Rituale der Höflichkeit eingeübt werden. Die Kinder genießen es, diese Rituale durchzuführen und bieten z.B. gerne jemandem ihren Stuhl an. Dies führt dazu, dass die Atmosphäre im Kinderhaus auch durch Höflichkeit geprägt ist. Das Kinderhaus versteht es ebenso als seine Aufgabe eine „gute Kinderstube“ zu sein.
Schließlich sollen die Kinder auch bei diesen Übungen lernen, ihre Umwelt bewusster wahrzunehmen. Dazu wurde zum Beispiel auch die Gartenarbeit in die Übungen des täglichen Lebens integriert.
Bevor die aufgeführten Ziele erreicht werden, unterläuft das Kind eine Entwicklung von 3 Stufen:

1. Die Kinder führen die Tätigkeit ohne Sinn und Bezug zur Umwelt durch. Sie geben den Blumen beispielsweise frisches Wasser, obwohl sie bereits vor einer halben Stunde frisches Wasser bekommen haben.

2. Der Sinn der Tätigkeit wird den Kindern bewusst. Sie verstehen jetzt, dass Blumen frisches Wasser brauchen um zu blühen.

3. Die Bedeutung der Tätigkeit für das Leben in der Gruppe wird ihnen bewusst. Sie bekommen einen Blick für Aufgaben, die erledigt werden müssen um die Ordnung im Raum zu erhalten.[8]

Ein wichtiger Punkt bei diesen Übungen ist, dass die Kinder auch hier die Fehlerkontrolle selbst übernehmen können. Haben sie etwas falsch gemacht entsteht Lärm oder Schmutz (das Wasser wurde z.B. verschüttet).
Die Stille gibt demnach Auskunft darüber, ob alles seinen richtigen Gang geht.
Die Stille hat bei Montessori keinen auferlegten Charakter. Sie ist etwas Natürliches, was entsteht, wenn alles in Ordnung ist und die Kinder zufrieden sind. Der Lärm auf dem Schulhof einer Regelschule ist nach Montessori ein Zeichen dafür, dass die Kinder versuchen sich von den einengenden Regeln der Schulstunde zu befreien. Der Lärm ist Ausdruck ihrer inneren Unruhe und des Chaos.[9]
Auch wenn Montessori die Stille für sehr bedeutsam hält, ist sie kein Gebot. Sie lässt die Kinder immer sprechen, wenn diese das Bedürfnis verspüren. Sie werden weder dazu aufgefordert, noch wird es ihnen untersagt. Das Gespräch ist sogar sehr wichtig, da die Kinder so ihre Erfahrungen austauschen und das Gelernte auf ganz natürliche Weise den Anderen beibringen. Jedoch erfordert ein gutes Gespräch nicht nur einen Redner, sondern auch einen Zuhörer. Um auch diese Kompetenz aufzubauen, muss ein Kind an Stille gewöhnt sein.
Es gibt auch eine Übung der Stille bei Montessori. Sie wird Schweigeübung genannt. Dabei setzen, oder legen sich die Kinder in eine möglichst bequeme Position und sollen sich nicht mehr bewegen, bis sie die absolute Stille erreicht haben.
Dabei soll auf alles geachtet werden, was man sonst überhört (die Vögel, die Uhr, der Regen etc.) Danach ruft der Lehrer/ Erzieher alle Kinder einzeln in einem Flüsterton zu sich. Die Kinder versuchen dann beim Kommen so wenig Geräusche wie möglich zu machen.
Die Stille dient der inneren Sammlung, die Hingabe und echtes Interesse hervorruft. Der Zerstreuung durch Sensationen wird entgegengewirkt.

[7]Vgl. Helming, H.: Montessori-Pädagogik. S.36.

[8] Vgl. Ebd. S. 37.

[9] Vgl. Ebd. S. 70.
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