Stress

Stress - Grundlagen, Auslöser und Bewältigungsmöglichkeiten

4.4 Das transaktionale Stressmodell

An dieser Stelle komme ich nun auf das transaktionale Stressmodell nach Lazarus zu sprechen.
Dieses Modell unterscheidet sich von den bisher dargestellten, da Stress nicht nur als In- oder Output gesehen wird, sondern dem Modell eine Transaktion zwischen Situation und Person zu Grunde liegt. Es besteht eine Verbindung zwischen einer sich verändernden Situation und einer fühlenden, denkenden und handelnden Person. Die Grundlage, auf der dieses Modell basiert, ist eine dynamische Beziehung zwischen Situation und Person.[46]
Eine Situation kann durch ein externes Ereignis gekennzeichnet sein, sie kann aber auch durch innere Anforderungen ( z. B. Ziele und Werte) repräsentiert werden.
Stress entsteht immer dann, wenn die persönlichen Ressourcen als ungenügend bewertet werden, um sich der Situation anzupassen bzw. sie zu bewältigen.
Dieser Zusammenhang soll aber nun in der genaueren Betrachtung des Modells näher unter die Lupe genommen werden.[47]

Zunächst wirken Umweltreize (also potentielle Stressoren) auf eine Person.
Für die Beurteilung dieser Reize ist eine primäre und sekundäre Bewertung von großer Bedeutung. Die kognitiven Einschätzungen (appraisals) werden als das zentrale Bestimmungsstück von Stress gesehen.
Es muss dabei betont werden, dass die Einteilung in primäre und sekundäre Bewertung nicht mit einer zeitlichen Reihenfolge gleichzusetzen ist. Ebenso wenig soll damit eine Hierarchie nach Wichtigkeit angedeutet werden. Beide Vorgänge laufen simultan ab und sollen durch diese Begrifflichkeiten lediglich inhaltlich voneinander getrennt werden.
In einem primären Bewertungsvorgang (primary appraisal) wird die aktuelle Situation analysiert. Die Person stellt sich dabei Fragen wie: Was passiert da? Ist das gut für mich, schlecht oder einfach irrelevant? Kommt die Person zu dem Schluss, dass es sich um eine negative Situation handelt, wird daraufhin die potentielle Wirkung des Stressors eingeschätzt.

Die Situation lässt sich in drei Bewertungskategorien zusammenfassen:

Schädigung/ Verlust => hierbei handelt es sich um ein Ereignis in der Vergangenheit. Eine Verletzung ist somit bereits eingetreten.

Bedrohung => dies bezeichnet eine Schädigung, die noch nicht eingetreten ist, aber möglich wäre.

Herausforderung => dies bezeichnet eine Situation, die als risikoreich erlebt wird.

Es kann sein, dass eine Situation als eine Kombination dieser Einschätzungen wahrgenommen wird. Eine Seite ist jedoch dabei immer dominant. Eine Prüfung kann z.B. als Bedrohung, aber gleichzeitig als Herausforderung gesehen werden. In dieser Situation sind die Chancen auf Erfolg und Misserfolg gleichermaßen gegeben.
Je nachdem, wie sicher sich jemand im Prüfungsthema fühlt, wird eine Seite der Bewertungsmöglichkeiten überwiegen.
Damit wären wir auch schon beim nächsten Schritt:
Zur primären Bewertung der Situation kommt nun ein sekundärer Bewertungsprozess (secondary appraisal) hinzu.
Hier werden die persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten reflektiert. Wenn die eigenen Ressourcen als ungenügend eingestuft werden, um die Situation zu bewältigen, entsteht Stress. Die erste und zweite Einschätzung lassen sich also als Ereigniswahrnehmung und Ressourcenwahrnehmung zusammenfassen.

Die erste Einschätzung konzentriert sich auf Informationen aus der Umwelt, bei der zweiten Einschätzung liegt der Schwerpunkt auf den Merkmalen der Person.

Bei der zweiten Einschätzung spielt die Selbstwirksamkeitserwartung eine entscheidende Rolle. Darunter wird die Überzeugung verstanden, die spezifischen Anforderungen durch eigenes kompetentes Handeln unter Kontrolle zu bringen.[48] Es geht also nicht um die objektiven Ressourcen, die jemand zur Verfügung hat, sondern allein um die subjektiv wahrgenommenen Bewältigungsmöglichkeiten.

Ein Mangel an Verfügbarkeit von Bewältigungshandlungen führt zur Verwundbarkeit (Vulnerabilität).
Personen, die sich verwundbar fühlen, erleben mehr Stress und können weniger hartnäckig und konstruktiv Probleme lösen.[49]

Kommen wir nun zum nächsten Punkt: den Bewältigungsaktionen (Coping).
Beim Coping wird im Modell von Lazarus zwischen zwei Bewältigungsformen unterschieden:

· Problemorientierung

· Emotionsorientierung

Die Problemorientierung zielt auf die Lösung eines Problems ab, während bei der Emotionsorientierung die Linderung der Belastungssymptome im Vordergrund steht.
Beim problembezogenen Coping handelt die Person direkt, um eine Reduktion des Problems zu bewirken. Dazu wird eine instrumentelle Tätigkeit ausgeführt (z.B. für eine Prüfung lernen).
Beim emotionalen Coping steht die Regulation der Emotionen im Vordergrund. Dies kann zum Beispiel durch Selbstverbalisation, Uminterpretation von Situationen oder der Einnahme von Beruhigungsmitteln erfolgen.[50]
Die Person versucht beim Coping immer einen Spannungsausgleich herzustellen.
Es wird zwischen vier Formen von Coping unterschieden. Jede Form kann ihrerseits entweder problem- oder emotionsorientiert ausgerichtet sein.
Die vier Formen bestehen aus:

1. Informationssuche (Suche nach Informationen um die Gefühlslage zu verbessern: z.B. Zahlen über die Durchfallwahrscheinlichkeit bei einer Prüfung recherchieren)

2. direkter Handlung (z.B. ein Buch zum Prüfungsthema lesen)

3. Unterdrückung von Handlung (z.B. nach Krebsdiagnose mit dem Rauchen aufhören)

4. intrapsychischem Coping (z.B. sich durch Selbstbeobachtung der eigenen Kompetenz vergewissern)[51]

Auf eine genauere Analyse dieser Bewältigungsmuster möchte ich an dieser Stelle verzichten, da die Beispiele genügen sollten, um die grobe Idee hinter den Schlagworten zu erkennen.

Fest steht, dass es immer sowohl eine instrumentelle (problemorientierte) als auch eine emotionsorientierte Copingstrategie gibt. Welche Strategie nun angewendet wird, ist individuell sehr unterschiedlich.
Wenn jedoch durch äußere Umstände (z.B. in Gefangenschaft) die Möglichkeit einer Umweltregulation (und somit einer problemorientierten Bewältigungsstrategie) sehr eingeschränkt ist, wird immer versucht, dies durch Emotionsregulation zu kompensieren.[52]
Der Entscheidung für eine Copingstrategie, geht ein antizipatorisches Coping voraus, indem sich der Betroffene die Auswirkung seiner Intervention vorstellt.[53]
Coping bedeutet allerdings nicht, dass die Bewältigungsversuche auch zum Erfolg führen müssen. Es handelt sich dabei nur um einen Versuch, bei dem eine Interaktion zwischen Person und Umwelt entsteht.
Durch die Reaktion einer Person in Form von Bewältigungsversuchen, kommt es über einen Rückkopplungsprozess zu Veränderungen in der Umwelt. Es entsteht somit eine veränderte Situation.
Die Person nimmt die neue Situation wahr, bewertet und beantwortet sie. Im Modell beginnen wir hier praktisch wieder von Vorne. Dieser Kreislauf setzt sich so lange fort, bis eine Situation nicht mehr als negativ und damit stressauslösend wahrgenommen wird.
Wenn schließlich eine bedrohliche Situation erfolgreich bewältigt werden konnte, werden ähnliche Probleme in Zukunft als weniger bedrohlich eingestuft. Die Erfahrungen, die eine Person in einer aktuellen Situation macht, beeinflussen somit auch die Bewertungen und Reaktionen in zukünftigen Situationen.[54] Die angesprochenen Zusammenhänge sollen nun im Flgenden noch einmal in einem (vereinfachten) Modell visualisiert werden.

[46] Vgl. Schwarzer, 1993.

[47] Vgl. Weinert, 1998.

[48]Vgl. Bandura, 1977, nach Schwarzer, 1993.

[49] Vgl. Schwarzer, 1993.

[50] Vgl. Weinert, 1998.

[51] Vgl. Schwarzer, 1993.

[52] Vgl. Schwarzer, 1993.

[53] Vgl. Zimbardo & Gerring, 2004.

[54] Vgl. Weinert, 1998.
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