Stress

Stress - Grundlagen, Auslöser und Bewältigungsmöglichkeiten

5.1.1 Erziehung

Das Verhalten der Eltern (insbesondere der Mutter) spielt bei der Entwicklung von Misserfolgsängstlichkeit eine entscheidende Rolle:

· Zeitpunkt der elterlichen Selbstständigkeitserwartungen

Sowohl bei sehr frühen als auch bei sehr späten Selbstständigkeitserwartungen wird Misserfolgsängstlichkeit begünstigt.[13] Zu einem sehr frühen Zeitpunkt ist das Kind überfordert, erleidet Misserfolge und entwickelt daraus eine Angst. Bei einem sehr späten Zeitpunkt hat das Kind nicht gelernt selbstständig zu handeln. Daraus folgenden Misserfolge und auch hier entsteht Angst.

· Informiertheit der Mutter über die Fähigkeiten ihres Kindes

Je besser eine Mutter über die Fähigkeiten ihres Kindes Bescheid weiß, desto eher wird eine erfolgszuversichtliche Einstellung entwickelt.

· Erwartungen an die Fähigkeiten des Kindes

Je optimistischer die Eltern an die Fähigkeiten ihres Kindes herangehen, desto eher nimmt auch das Kind eine erfolgszuversichtliche Haltung an.[14] Wenn sie ihr Kind aber überschätzen, bringen sie es dadurch leicht in eine Misserfolgssituation.

· Rückmeldung bei Erfolg des Kindes

Reagiert die Mutter positiv auf den Erfolg ihres Kindes, beugt sie damit einer misserfolgsängstlichen Einstellung vor.

· Anleitung bei der Bearbeitung von Aufgaben

Wenn Mütter ihren Kindern Tipps bei der Lösung von Aufgaben geben, wirkt dies förderlich auf das erfolgszuversichtliche Handeln des Kindes. Wenn sie ihren Kindern jedoch jeden Schritt vorschreiben und ihnen bis ins Detail helfen, bewirken sie damit eine Unselbstständigkeit ihrer Kinder und begünstigen so das Erleben von Misserfolgen.[15]

Aber auch der allgemeine Erziehungsstil der Eltern nimmt Einfluss auf das Selbstwertgefühl der Kinder und somit auf die Entwicklung zu einem erfolgszuversichtlichen bzw. misserfolgsängstlichen Menschen.
Der autoritative Erziehungsstil wirkt sich sehr förderlich auf ein positives Selbstwertgefühl aus. Das Kind erfährt Liebe und Wärme und hat so die Gewissheit, dass es bedeutend ist. Es gibt Regeln, die dem Kind Spielräume lassen. So kann das Kind lernen in einzelnen Bereichen auch Selbstverantwortung zu tragen und seine Umwelt aktiv zu gestalten.
Beim autoritären Erziehungsstil wird das Kind stark kontrolliert, so dass es indirekt lernt, nicht fähig zu eigener Verantwortung zu sein. Durch einen laissez-faire- Stil hingegen, bekommt das Kind durch fehlende Regeln der Eltern den Eindruck, die Aufmerksamkeit nicht Wert zu sein. Ein geringes Selbstwertgefühl ist bei beiden Erziehungsformen die Folge.[16]
Das Selbstwertgefühl spielt bei der Beurteilung der persönlichen Ressourcen zur Stressbewältigung eine entscheidende Rolle.

An dieser Stelle möchte ich zum Lehrerverhalten übergehen, denn auch hier wird eine Person in der Ausbildung von Misserfolgsängstlichkeit beeinflusst. Ein Lehrer kann Angst entstehen lassen, er kann sie fördern oder aber auch beseitigen.[17]
Viele Lehrer denken, durch das Erzeugen von Angst können sie Schüler dazu bringen, extrem viel zu leisten. Dass Angst jedoch gerade einen negativen Effekt auf die Leistungsfähigkeit hat, wurde ja bereits zu Beginn des Kapitels erläutert.
Generell lässt sich hier festhalten, dass traditionelle, autoritäre Unterrichtsmethoden die Entwicklung von Misserfolgsängstlichkeit begünstigen.[18]

Hier muss ich nun auf die Bezugsnormen zurückkommen.
Um den Erfolg einer Leistung zu messen, gibt es verschiedene Maßstäbe. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen drei Bezugsnormen:

1. sachliche Bezugsnorm: hier wird betrachtet, ob der beabsichtigte Effekt zu Stande gekommen ist, oder nicht. Schafft es der Junge auf der Mauer zu balancieren, oder fällt er hinunter?

2. individuelle Bezugsnorm: hier ist die Steigerung der eigenen Tüchtigkeit gemeint. Kann man die eigenen Weitsprung Ergebnisse toppen, oder ist man schlechter als sonst?

3. soziale Bezugsnorm: dabei werden die Ergebnisse anderer zum Vergleich mit dem eigenen Ergebnis herangezogen. Wenn man in der Schule eine 3 schreibt ist es z.B. ein gutes Ergebnis, wenn alle anderen 5en und 6en geschrieben haben, aber nicht wenn alle sonst eine 1 haben.[19]

Meist herrscht in der Vorschulzeit die sachliche und die individuelle Bezugsnorm vor. In der Schule gewinnt dann die soziale Bezugsnorm an Gewicht, da die Altershomogenität und die Notengebung einen Vergleich der Kinder untereinander provoziert. In altersheterogenen Klassen würde ein Sechsjähriger nicht auf die Idee kommen, seine eigene Leistung mit der eines Neunjährigen zu vergleichen, da ein Leistungsunterschied auf der Hand läge. In der späteren Jugend wird dann die soziale Bezugsnorm wieder durch die individuelle ergänzt.

Jede dieser Bezugsnormen hat sowohl Vor- als auch Nachteile und kann, um ein realistisches Bild seiner Fähigkeiten zu bekommen, nicht einzeln angewendet werden.
Ein Risiko, Misserfolgsängstlichkeit zu fördern, entsteht, wenn Lehrer die soziale Bezugsnorm zu sehr in den Vordergrund stellen.
Die soziale Bezugsnorm wirkt sich sehr negativ auf die Motivation der Schüler aus, da sie vom Lehrer oft mit einer konstanten Leistungsfähigkeit des Schülers verbunden wird. Auch wenn der Schüler Fortschritte macht (nach vielen 5en eine 4 schreibt), liegt er immer noch unter dem Durchschnitt der Klassenleistung. Es wird also ständig Misserfolg erlebt. Die Umwelt wird dann trotz eigener Bemühung als unbeeinflussbar wahrgenommen.
Anders ist dies bei Lehrern, die eine individuelle Bezugsnorm bevorzugen. Hier kann jeder Schüler, egal ob im oberen oder unteren Leistungsbereich der Klasse, eine für ihn gute oder schlechte Leistung erbringen.[20] Der Schüler kann so den eigenen Einfluss auf die Situation wahrnehmen, was Misserfolgsängstlichkeit vorbeugt.
Person und Situation lassen sich also nicht trennen. Die Entwicklung von persönlichen Dispositionen ist nicht nur angeboren, sondern wird ebenso durch Umweltbedingungen erworben.

Nun wurden im vorangegangenen Abschnitt die sozialen Situationsbedingungen beleuchtet, die Einfluss auf die Entwicklung der persönlichen Dispositionen haben. Im Folgenden soll nun auf die innerpsychischen Verarbeitungsvorgänge von Umweltreizen eingegangen werden, die bei misserfolgsängstlichen Menschen typisch sind und somit zu Stress führen.

[13] Vgl. Rheinberg , 2002.

[14] Vgl. Rheinberg, 2002.

[15] Vgl. Ebd.

[16] Vgl. Mietzel 2002.

[17] Vgl. Gärtner-Harnach, 1972.

[18] Vgl. ebd.

[19] Vgl. Rheinberg, 2002, S. 184.
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